Aussagen zum europäischen Verfassungsvertrag.
Josef Liebhart ist einer der drei Parteistifter der eLeW. Im Juli 2004 schrieb er einen ersten
Artikel zum Thema.
Mit dem Themenheft legt er nun eine kurze Zusammenfassung der verschiedenen Positionen und Einwände vor, so dass der Leser eine ausgiebige Grundlage zur
eigenen Meinungsbildung erhält. Inzwischen ist der Verfassungsvertrag durch die ablehnenden Abstimmungen in F und NL verhindert worden. Dafür soll er nun
durch einen EU-Reformvertrag durch die Hintertür ersetzt werden. Mit der Billigung durch den Bundesrat am 23.5.2008 hat D den EU-Reformvertrag inzwischen
angenommen. Das Themenheft ist, da an der EU-Ausrichtung sich nichts geändert hat, immer noch aktuell.
Das Themenheft gibt es zum Laden in einer Heft-Version als
pdf-Datei (180kB). Da sind die
Seiten so angeordnet, dass zu jeder Vorderseite die nachfolgende Seite als Rückseite gedruckt wird und richtig zusammengelegt und gefaltet, sich ein
34-seitiges Heft im A5-Format ergibt. Zum flüssigen Lesen am Bildschirm und zum Kommentieren dient diese Seite hier.
Rechts bittet die eLeW kapitelweise um Ihre Stellungnahme. Das können Argumente, Belege, andere Quellen, Korrekturen oder persönlicher Erfahrungsschatz
sein. Die eLeW wird diese mit ihren Mitgliedern berücksichtigen. Für eine öffentliche Diskussion stehen die eLeW-Foren zur Verfügung.
Der europäische Verfassungsvertrag
Diskussionsgrundlage für die eLeW von Josef Liebhart
eLeW-Themenheft Nr. 1
Herausgeber: eLeW, ein Land eine Welt, die andere Partei, das 24/7-Demokratieprojekt
Postanschrift: EleW
Lutherstr. 23
12305 Berlin
Internet: www.eLeW.de
E-mail: heft1 at elew.de
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Der Zweck des Themenheftes:
Obwohl der EU-Verfassungsvertrag der breiten Öffentlichkeit so gut wie gar nicht bekannt ist, haben sich doch schon viele Organisationen und Persönlichkeiten
damit auseinander gesetzt. Der vorliegende Text möchte eine kurze Zusammenfassung der verschiedenen Positionen und Einwände liefern, so dass der Leser eine
ausgiebige Grundlage zur eigenen Meinungsbildung erhält.
Für die eLeW ergibt das Heft die Grundlage für die öffentliche Diskussion auf der eLeW-Webseite www.elew.de/aussagen/eu_verfassungsvertrag.htm.
Dort können eigene Beiträge (Vorschläge, Kritik, Meinung, Berichtigung usw.) eingetragen werden. Die eLeW wird mit Veröffentlichung und/oder Beantwortung
dieser Beiträge reagieren. Hier im Heft gibt es einen breiteren Heftrand für eigene Notizen.
Stand des Heftes: 20.5.2005
Der Verfasser:
Josef Liebhart ist einer der drei Parteistifter der eLeW. Im Juli 2004 schrieb er einen ersten Artikel zum Thema (www.elew.de/aussagen/europa.htm) mit dem
Fazit: Es ist richtig und wichtig, dass Europa sich eine Verfassung geben will, insofern ist das Vorlegen eines Verfassungsentwurfs ein Fortschritt. Aber
sowohl sein Zustandekommen als auch der Inhalt und die Art des geplanten Inkraftsetzens sind nicht zu akzeptieren.
Copyright:
Alle Rechte beim Verfasser. Der Inhalt darf weiter gegeben und verwendet werden. Wird der Verfasser oder die eLeW dabei genannt oder irgendein Hinweis auf
die eLeW gezeigt, ist die wortgetreue und ungekürzte Übereinstimmung mit dem Referenzheft www.elew.de/aussagen/themenheft01.doc einzuhalten.
Druck:
Alle eLeW-Mitglieder sind berechtigt, Ausdrucke auf eigene Kosten vorzunehmen. Üblich bei der eLeW ist die Nennung des eigenen Namens, handschriftlich
unten eingetragen, als Einladung an den Empfänger, das Mitglied späterhin auf den Inhalt, auf Politik oder die eLeW anzusprechen.
Gedruckt von: ______________________ am __________________
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Der europäische Verfassungsvertrag
Der Bundestag und der Bundesrat haben dem europäischen Verfassungsvertrag inzwischen zugestimmt. Dennoch bleibt uns dieses Thema noch mindestens ein
weiteres Jahr erhalten, denn andere europäische Länder nehmen sich diese Zeit zur Ratifizierung.
Und das aus gutem Grund. Es ist eine Unverschämtheit, wenn die europäischen Bürger mit für die Zukunft so wichtigen und irreversiblen Festlegungen
ohne Chance auf Teilhabe überrollt werden.
Da hier nicht nur schlaglichtartig, sondern fundiert der Entwurf des Verfassungsvertrages beleuchtet werden soll, ist diese Ausarbeitung leider auch
viele Seiten lang geworden. Kein Wunder allerdings, denn der offizielle Entwurf mit insgesamt 474 Seiten enthält 448 Artikel, 36 Protokolle und
zusätzlich Anhänge und Erklärungen.
Inhalt:
Im Anhang wird der Aufbau und Inhalt des Verfassungsvertrags vorgestellt. Wer einzelne Artikel oder das gesamte Werk aber selbst lesen möchte, findet es
im Internet unter (EU-Info: 2004/C 310/01, Stand 16.12.2004)
http://europa.eu.int/eur-lex/lex/JOHtml.do?uri=OJ:C:2004:310:SOM:DE:HTML
Zum Themenheft 1 hier in dieses eine Feld Namen, Email-Adresse und Ihre Äußerung frei formuliert eintragen und
einfach abschicken. Weitere Eintragungsmöglichkeiten gibt es noch bei den einzelnen Kapiteln. Jede Eintragung wird beantwortet.
1. Ja zu Europa.
Natürlich ist die eLeW für ein gemeinsames Europa. Und positiv wäre eine gemeinsame Verfassung allemal. Nur muss eine solche Verfassung wichtige
Kriterien erfüllen:
Punkt 1: Eine Verfassung ist klassischerweise ein Gesellschaftsvertrag, der den Konsens zu einem offenen System politischer Gestaltung fixiert,
in dem sowohl der Wechsel zwischen politischer Mehrheit und Minderheit wie auch zwischen alternativen politischen Konzepten und Entwürfen möglich
ist. Diese Grundregel wechselnder politischer Kräfte und Politiken verlangt von der Verfassung nicht nur die Institutionalisierung des politischen
Konfliktes und den Schutz der Minderheit vor Repression, sondern auch die politische Offenheit, die
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es konkurrierenden gesellschaftlichen Positionen erlaubt, andere politische Konzeptionen zu verfolgen und evtl. durchzusetzen. Die europäischen
Verfassungen vermeiden deshalb zu detaillierte Regelungen einzelner Politikbereiche, um den Spielraum politischer Gestaltung nicht unzulässig
einzuengen und die Politik nicht der Möglichkeit zur Anpassung an zukünftige Entwicklungen zu berauben.
Das Grundgesetz z.B. gewährt der Politik einen weitgehenden Gestaltungsspielraum, indem es die Wirtschaftspolitik nicht auf ein bestimmtes System
festlegt, sondern (wie es das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat) gegenüber der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik neutral bleibt.
Punkt 2: Des weiteren müssen in Demokratien solch grundlegenden Vereinbarungen offene und umfassende Informationen und Debatten vorausgehen, um
etwaige Fehler zu vermeiden und um die Identifikation der Menschen mit dem Regelwerk zu erhöhen. Nur eine Verfassung, die die Menschen als die
Ihre empfinden, wird lebendig und demokratisch gelebt.
Eine Verfassung wird gedacht als Gesellschaftsvertrag, dem alle Mitglieder der Gesellschaft, zustimmen können sollten. Auch bei einer Volksabstimmung
über eine Verfassung wird es keine Einstimmigkeit geben. Erwartet wird von einer Verfassung aber, dass auch die überstimmte Minderheit mit der
Verfassung leben kann, ihr prinzipiell zustimmen können sollte, um nicht in eine Fundamentalopposition zu dieser Verfassung zu geraten.
Beide wichtigen Punkte werden mit dem vorliegenden Entwurf nicht erfüllt.
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2. Wer hat den Entwurf erarbeitet?
Damit sind wir bei der Frage, wie dieser Verfassungsvertrag entstanden ist.
Die Zusammensetzung des einberufenen Konvents orientierte sich an dem Grundrechtekonvent. Die größte Gruppe sollten mit 30 Vertretern die nationalen
Parlamente der EU-Staaten stellen, das Europaparlament war mit 16 Mitgliedern vorgesehen, und 15 Vertreter, demnach pro Land einen, sollten die Staats-
und Regierungschefs der EU-Länder stellen.
Hinzu kamen zwei Vertreter der Kommission und der Konventspräsident, sowie seine beiden Vizepräsidenten. Eingeladen wurden auch 26 Mitglieder der
nationalen Parlamente der Beitrittsländer und 13 Vertreter der Staats- und Regierungschefs dieser Staaten.
Der Konvent setzte sich somit aus insgesamt 105 Vollmitgliedern zusammen, die jeweils einen Stellvertreter hatten. Zu Wort kommen konnten zudem
12 Beobachter, entsandt vom Wirtschafts- und Sozialausschuss, dem Ausschuss der Regionen und von den Europäischen Sozialpartnern, sowie der
Europäische Bürgerbeauftragte.
Soweit schien eine breite Vielfalt gewährleistet zu sein, bei genauerem Hinsehen zeigten sich aber die Probleme.
Der Konvent war eine Domäne der Männer, sie stellten allein 83% der Teilnehmer.
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Aufgrund des Auswahlverfahrens der Vertreter der Mitgliedstaaten – einer pro Regierung und zwei je nationalem Parlament – wurden fast nur Mitglieder aus
den beiden großen politischen Lagern, denen der Konservativen und Sozialdemokraten, ausgewählt. Hinzu kamen einige Liberale. Andere große politische
Gruppen, wie die Linke, die Grünen, die so genannten Euroskeptiker oder auch nationalistische Gruppen, waren nur als Spurenelemente vertreten.
So stellte die europäische Linke mit Sylvia-Yvonne Kaufmann, einer deutschen PDS-Europaparlamentarierin, und der zypriotischen Kommunistin Eleni Mavrou nur
zwei der 105 Konventsmitglieder, wobei letztere als Vertreterin eines Beitrittslandes nicht einmal stimmberechtigt war.
Die Grünen waren durch den österreichischen Europaparlamentarier Johannes Voggenhuber und, ab November 2002, durch den deutschen Außenminister vertreten.
Joschka Fischer allerdings dachte gar nicht daran, im Konvent auch nur ansatzweise originäre grüne Positionen zu vertreten.
Die Zusammensetzung des Konvents stellte daher eine groteske Verzerrung der politischen Realitäten in der Europäischen Union dar.
Aber auch die Arbeit war fragwürdig. In der Regel hatten die Konventsmitglieder nur zehn, gelegentlich sogar nur sieben Tage Zeit, die nicht selten ein
Dutzend und mehr Artikel umfassenden Vorlagen zu prüfen und eigene Änderungsanträge dazu auszuarbeiten. Z.B. wurden die Textentwürfe für den umfangreichen
Teil III den Konventsmitgliedern erst am 27. Mai 2003 für die Sitzung am 30. und 31. Mai vorgelegt (vgl. CONV 725/03). Allein zu diesem Abschnitt wurden
ca. 1.600 Änderungsanträge eingereicht.
Der Konvent hatte bis zum Abschluss seiner Arbeiten am 10. Juli 2003 aber überhaupt nur noch zweimal Gelegenheit sich mit diesen Artikeln zu befassen.
Bedeutet es da nur Übles zu unterstellen, wenn man darauf hinweist, dass gerade mit den vielen Bestimmungen des Teils III viele positive Momente von
Teil 1 und 2 wieder relativiert wurden?
Die Selbstdarstellung des Konvents als ein offenes Gremium gleichberechtigter Mitglieder, das gemeinsam um die beste aller Lösungen ringt, hat jedenfalls
stark zur Verschleierung der wirklichen Machtverhältnisse beigetragen. Denn im Konvent wurden gar keine Entscheidungen durch Abstimmungen getroffen.
Entschieden hat allein das Präsidium des Konventes, das nichtöffentlich tagte und von dessen Beratungen auch keine Protokolle vorliegen (entschieden wurde
nach einer Konsensmethode bzw. der Konventsvorsitzende Valéry Giscard d’Estaing allein definierte die Mehrheitsposition sogar allein und legte sie fest).
Das eigentliche Zustandekommen der Verfassung blieb somit selbst für die Konventsmitglieder im Dunkeln.
Der einseitig von oben verkündete „weitgehende Konsens“ über den Gesamtentwurf wurde nach dem Ende der Arbeit des Konvents dann insbesondere von
deutscher und französischer Seite als Argument benutzt, um damit diejenigen Kritiker abzuwehren, die in der nachfolgenden Regierungskonferenz noch
Änderungen durchsetzen wollten.
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Der durchaus widersprüchliche Entwurf wurde dabei als ein in sich geschlossenes und logisches Konzept vorgestellt, das nur als Ganzes angenommen oder
abgelehnt werden könne. Damit wurde die beschworene (aber nicht vorhandene) Autorität des Konvents am Ende zu einer Waffe in der machtpolitischen
Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedstaaten.
3. Argumente der Befürworter.
Die Kommission selbst schreibt zu ihrem Verfassungsvertrag :
„In der europäischen Verfassung werden die Werte, auf die sich die Union gründet – wie die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit,
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte –, festgeschrieben. Ferner werden durch sie mehr Rechte für die Bürger eingeführt, da die Grundrechtecharta für
die Organe der Europäischen Union und für die Mitgliedstaaten verbindlich wird, wenn sie das Unionsrecht anwenden.
Durch die Verfassung wird das demokratische Fundament der Union gestärkt, indem sie dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten mehr
Befugnisse zuweist und neue Möglichkeiten für eine Beteiligung der Bürger vorsieht.
Des Weiteren werden durch sie die Sichtbarkeit und Wirksamkeit der Union verbessert und Fortschritte bei der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz
und innere Sicherheit sowie bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik möglich.
Sie enthält zudem Vereinfachungen und Klarstellungen, die dazu beitragen, die Union und ihre Funktionsweise verständlicher zu machen.
Wenn der Vertrag über eine Verfassung für Europa von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist, kann er frühestens ab dem 1. November 2006 in Kraft
treten und seine Wirkung entfalten.“
Soweit ein sehr schöner Text. Auch Bundeskanzler Schröder sagte vor der Bundestagsdebatte zur Ratifizierung des Vertrags: Mit der Verfassung werde
die EU
„entscheidungsfähiger, demokratischer und bürgernäher“.
Natürlich beinhaltet dieser Vertragsentwurf Positives:
• Das gilt für die Hervorhebung von Freiheit, Demokratie, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung als Werte der Union; und das gilt
für die Ziele Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt, die sich die Union im Teil I der Verfassung selbst setzt.
• Das gilt genauso für den Teil II der Verfassung, in dem die Charta der Grundrechte der Union aufgenommen wurde. Die Union gründe sich, so heißt es dort,
auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität.
• Auch wird das Recht auf politische, gewerkschaftliche und zivilgesellschaftliche Vereinigungsfreiheit definiert, sind Unterrichtungs- und
Anhörungsrechte von Arbeitnehmern sowie auch ein Streikrecht festgeschrieben und sind weitere wichtige Bürgerrechte enthalten.
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So sehen „kritische“ Persönlichkeiten, wie Wolf Biermann, Günter Grass, Jürgen Habermas, Alexander Kluge, Michael Naumann, Gesine Schwan u. a. in dieser
EU-Verfassung sogar eine Alternative zu einem entfesselten Kapitalismus und schreiben am 3. Mai 2005 :
„Die Verfassung erfüllt nicht alle unsere Ideale. Sie ist ein ehrlicher Kompromiss. ... Sie ist die Garantie der Produktivität des Marktes und zur
gleichen Zeit die Garantie für den Schutz unserer sozialen Rechte, dadurch ist sie die einzig verlässliche und wettbewerbsfähige Alternative gegenüber
dem Alptraum eines entfesselten 'ultraliberalen' Kapitalismus."
Oder die sich eher links nennenden Europaparlamentarier Angelika Beer (Grüne), Sylvia-Yvonne Kaufmann (PDS) und Jo Leinen (SPD) schreiben gemeinsam: (Auszüge)
„Eine stärkere EU ist die einzig vernünftige Antwort auf die zunehmende Globalisierung.... Ein Scheitern der Verfassung würde Europa nachhaltig
schwächen und die Union ihrer sozialpolitischen und friedenspolitischen Handlungsfähigkeit berauben und ein Auseinanderfallen der Union provozieren.
Ein Nein zur Verfassung wäre auch ein Nein zu einer Neuausrichtung europäischer Wirtschafts- und Sozialpolitik. Erstmals bekennt sich die EU mit dieser
Verfassung zur sozialen Marktwirtschaft und verabschiedet sich damit von ihrer reinen Marktfixierung. Das ist ein zentraler Fortschritt und eine völlig
neue Berufungsgrundlage für die zukünftige soziale Ausgestaltung der EU.
Wer »Nein« zu dieser Verfassung sagt, sagt »Nein« zum Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention, verzichtet auf die Rechtsverbindlichkeit
der »Charta der Grundrechte« und beraubt sich selbst einer guten Grundlage für die Wahrung und Durchsetzung der unveräußerlichen Menschenrechte, der
individuellen Bürgerinnen- und Bürgerrechte und einer emanzipatorischen Politik. Im Übrigen besteht ein großer Erfolg der Linken darin, dass die Charta
als erstes europäisches Dokument von der Unteilbarkeit der Grund- und Menschenrechte ausgeht, indem sie nicht nur bürgerliche Freiheitsrechte, sondern
gleichzeitig auch soziale Rechte enthält.
Schwerwiegend wäre der außenpolitische Schaden: Ein Scheitern der Verfassung würde insbesondere die europäische Zerrissenheit gegenüber dem
völkerrechtswidrigen US-Präventivschlag gegen den Irak noch nachträglich ein zweites Mal zementieren.
Mit dieser Verfassung erhebt die EU die Förderung des Friedens zum obersten Gebot. Sie macht sich einen erweiterten Sicherheitsbegriff zu Eigen, bindet
sich eindeutig an das Völkerrecht und die UN- Charta und gibt Europa mit dem Europäischen Außenminister EINE außenpolitische Stimme.
Zweifellos gibt es berechtigte Kritik, wie die stärkere Ausführung zu militärischen Aspekten, die Verankerung einer Verteidigungsagentur im Vertragstext,
die Verpflichtung zur Verbesserung militärischer Fähigkeiten oder der Verzicht auf eigene Abrüstungsinitiativen. Aber gerade vor diesem Hintergrund ist
die Art und Weise, wie Teile der Linken, insbesondere einige
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Aktivisten der Friedens- und Anti-Globalisierungsbewegung, gegen diese Verfassung polemisieren, kontraproduktiv. Die Auseinandersetzung um die
Verfassung darf nicht auf Falschinformationen basieren.
Der Vorwurf, mit der Verfassung würden Angriffskriege legitimiert, ist ebenso absurd wie falsch: Die Verfassung verbietet jeden Angriffs- und
Präventivkrieg. Unhaltbar ist die Behauptung, die Verfassung legitimiere »Abrüstungskriege«. Ein EU-geführter Präventivschlag wie der Irakkrieg der
USA wäre nicht nur völkerrechtswidrig, sondern darüber hinaus auch ein Verfassungsbruch.
Die Behauptung, der im Grundgesetz festgeschriebene Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze würde in der EU-Verfassung abgeschafft, ist schlicht eine
Lüge. Wenn die Bundesregierung deutsche Truppen an einem Auslandseinsatz der Union beteiligen will, muss weiterhin der Bundestag zustimmen.
Tatsache ist, dass die Entwicklung militärischer Fähigkeiten der EU weitergeht, und zwar auch ohne Verfassung. Ohne Verfassung wären aber die
möglichen negativen Konsequenzen weit größer, und das in dreifacher Hinsicht: Erstens könnten sich die militärisch starken Mitgliedsstaaten von der
EU abkoppeln und ein militärisches Kerneuropa bilden.
Zweitens würde dieses militärische Kerneuropa dann nicht auf das in der Verfassung ausdrücklich verankerte Friedensgebot verpflichtet sein.
Drittens würden das Amt eines EU- Außenministers, der Europäische Diplomatische Dienst, die Verpflichtung der EU zur Kooperation mit der OSZE, die
positiven Vertragsänderungen im Bereich der Entwicklungshilfe oder die neue Bestimmung über die Schaffung eines Europäischen Freiwilligenkorps im
Rahmen der humanitären Hilfe entfallen.
Das sind gerade jene Regelungen, die die zivilen Institutionen der EU stärken sollen. Zudem würde die erstmalig gleichberechtigte Nennung von zivilen
und militärischen Mitteln als entscheidende Berufungsgrundlage für die zukünftige zivile Ausgestaltung der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik wegfallen.
Um die EU sozial- und friedenspolitisch zu stärken, sollte gerade die Linke für diese Verfassung kämpfen, ihre Spielräume nutzen und die Energien
bündeln, um in absehbarer Zeit eine erste Revision der EU-Verfassung vorzubereiten. Mit dem Europäischen Bürgerbegehren erhalten die sozialen Bewegungen
erstmals einen direkten Hebel, die Europäische Union mitzugestalten. Eine Chance, die wir nicht leichtfertig an uns vorüberziehen lassen sollten! „
(Ende der Auszüge)
Auch für andere Befürworter ist es besonders wichtig, dass das Europäische Parlament in seinen Anhörungs- und Veto-Rechten gestärkt worden ist, dass
mit dieser Verfassung eine soziale Union möglich wird, oder es wird argumentiert, sie sei eine erste Grundlage und man könne dann darauf gut aufbauen.
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Etwas widersprüchlich dazu warnen andere davor, diesen Vertrag abzulehnen, da es für die nächsten Jahre dann sehr unwahrscheinlich wird, dass sich
die 25 (und später noch mehr) verschiedenen Staaten je wieder auf einen gemeinsamen Inhalt einigen könnten und man damit die vielen
wichtigen Verbesserungen verspielt. Es gibt auch die Behauptung, wer nicht zustimmt, der fliegt raus.
4. Argumente dagegen
Ein großes Problem für jeden, der das gesamte Dokument nicht kennt, besteht darin, die verschiedensten Aussagen dafür oder dagegen richtig einzuordnen.
Denn jeder pickt sich die Teile heraus, die ihm in den Kram passen, und lässt die anderen einfach weg.
Typisch dafür wieder ein Zitat von Bundeskanzler Schröder: Man dürfe nicht
„allzu kleinlich auf jedes Detail starren“.
Was steht konkret im Verfassungsvertrag, aber auch in welchem Kontext steht dieser Vertrag, in welchen Rahmen ist er eingebettet?
Wichtig für eine fundierte Einschätzung ist deshalb:
Was findet sich im Vertrag:
a) Sozialpolitisch,
b) Wirtschaftspolitisch,
c) Friedenspolitisch bzw. Militärpolitisch,
d) Über die Stärkung des Parlaments und
e) Zu demokratische Strukturen und über die Stärkung der Bürgerbeteiligung.
Zuerst aber zum Thema „eine Ablehnung würde ein einiges Europa zerbrechen“ und eine solche Chance wie jetzt bietet sich dann wohl die nächsten
Jahrzehnte nicht mehr.
Sicher, nach einer Ablehnung birgt eine Neu- oder Nachverhandlung bei jetzt 25 EU-Mitgliedern (bald 27 oder noch mehr Mitgliedsländern), die Gefahr,
keine Einigung mehr zu Stande zu bringen. Was übrigens das Argument widerlegt, jetzt erst einmal die Verfassung mit ihren Schwächen annehmen und
dann später noch nachbessern. (Das für Vertragsänderungen vorgesehene Verfahren setzt laut Artikel IV-443 (2,3) erneut einen Verfassungskonvent,
anschließend eine Konferenz der Regierungsvertreter und letztendlich die Ratifizierung durch alle Mitgliedsstaaten voraus. Tatsächlich eine hohe Hürde.)
Die Frage, was kommt nach einer Ablehnung, führt natürlich ins Reich der Spekulation. Aber einige Fakten kann man doch anführen:
• Rausfliegen tut keiner durch eine Ablehnung, der Verfassungsvertrag tritt nicht in Kraft, stattdessen gilt dann der EU-Vertrag von Nizza weiter.
• Und es gehen erst einmal auch die wirklichen Vorteile dieses Vertrages verloren, als da wären : die europaweite Verankerung der Grundrechtecharta,
die Erweiterung der Rechte des EU-Parlaments, der Ersatz der Einstimmigkeit bei vielen Entscheidungen durch die 55/65 Prozentregel und damit eine
bessere Handlungsfähigkeit der Union.
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Der Verlust hält sich aber in Grenzen, denn:
• Die Grundrechte-Charta war schon vor dem Verfassungsvertrag fertig ausgearbeitet und von allen akzeptiert, man könnte sie auch ohne diese Verfassung
in Kraft setzen. Man hat beides bewusst miteinander gekoppelt.
• Ähnliches gilt für die 55/65-Regel. Alle 25 Mitgliedsländer haben sich nach zähen Ringen darauf verständigt. Warum nicht per Vertrag auch ohne diese
Verfassung in Kraft setzen und somit Handlungsfähigkeit behalten ?
• Die Erweiterung der Rechte des EU-Parlaments ist so gering ausgefallen, dass man deswegen wahrlich nicht den Rest schlucken muss.
Nun zum Inhalt.
a) Sozialpolitisch
In
I-Art.3 steht:
(1) Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.
(2) Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen und einen Binnenmarkt mit
freiem und unverfälschtem Wettbewerb.
(3) Die Union wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in
hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz
und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt.
Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und
Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes.
Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas.
(4) In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen. Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit,
globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut
und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts,
insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.
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Alles schön formulierte Ziele, denen man kaum widersprechen möchte. Auch im Teil III finden sich diese positiven Bezugspunkte, leider mit solch
unverbindlichen Formulierungen wie:
„wirkt darauf hin“, „wird gefördert“, „trägt Rechnung“, „zielt die Union darauf ab“, „müssen
einbezogen werden“.(III 116-121, 204, 209)
In Verbindung und im Zusammenhang mit den bisherigen europäischen Verträgen gesehen, angefangen von den Römischen Verträgen 1957, über Maastricht,
Lissabon bis Nizza und den weiteren Seiten dieses Verfassungsvertrages relativieren sich jedoch viele dieser netten Zielvorgaben.
Es wurden und es werden die Bedingungen für einen möglichst freien Markt geschaffen, wobei die eben genannten Ziele nur stören. Und selbst bisher
anerkannte Ausnahmen wie das Erziehungs- und Gesundheitswesen, die Kultur und die öffentlichen Dienste, werden immer wieder gebrandmarkt und
sind ständig in der Gefahr, von der Liberalisierungswelle überrollt zu werden.
Die viel gescholtene Bolkestein-Richtlinie steht nicht im Widerspruch zu dieser Verfassung (wie oft behauptet oder vorgegaukelt wird), sie
setzt mit der totalen Liberalisierung der europäischen Dienstleistungsmärkte die Verfassungs-vorgaben nur konsequent um, genauso wie die
neue Arbeitszeitrichtlinie, mit der europaweite Arbeitszeitverlängerungen auf den Weg gebracht werden sollen.
Die Wortverbindung „wettbewerbsfähige soziale“ Marktwirtschaft stellt einen Widerspruch in sich selbst dar, genauso ist die Förderung
von „sozialer Gerechtigkeit und sozialen Schutz“ nicht möglich, wenn immer wieder der freie Handel und der offene und unverfälschte Wettbewerb
eingefordert werden.
Oder auch der Widerspruch „freier und gerechter Handel“ unter den Völkern. Denn: Wer immer einen gerechten Handel, eine soziale Marktwirtschaft
oder sozialen Schutz einfordert, der muss dem freien Handel Regeln und Grenzen setzen.
Doch durch die ganze Geschichte der EU und auch in diesem Verfassungsvertragsentwurf zieht sich das Bemühen um eine immer weiter reichende
Beseitigung aller Beschränkungen mit der klar erkennbaren Folge, dass sich die (sozialen) Standards immer weiter nach unten verlagern.
Konsequenterweise wird in den Ausführungsbestimmungen des Teils III kein zweites Mal die Marktwirtschaft mit dem Adjektiv „sozial“ versehen.
Zwei weitere Beispiele von wegen sozial: der Versuch, ein länderübergreifendes europäisches Streikrecht in den Vertrag zu bekommen, ist gescheitert
(das Streikrecht wird von nationalem Recht abhängig gemacht,
Art. II-88),
aus dem Menschenrecht auf Arbeit wird nur noch ein wertloses „Recht zu arbeiten"
(Art. II-75).
Da im Entwurf, die neoliberale Wirtschaftspolitik (siehe nächsten Unterabschnitt) mit vielen Artikeln genauestens festgeschrieben wird, erweisen
sich im Gegensatz dazu die sozialpolitischen Zielstellungen als reine Lippenbekenntnisse.
Dementsprechend sucht man ein Sozialstaatsgebot wie im Grundgesetz hier vergeblich, ein Grundrecht der „unternehmerischen Freiheit"
(Art. II-76)
hielt man dagegen für wichtig genug, um aufgenommen zu werden.
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Vielleicht noch ein letzter Hinweis auf die Wertigkeit des Sozialen:
Art. II-111,(2)
„Diese [Grundrechte- Einfügung d. Verf.]
Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus
aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union“.
Was nichts anderes bedeutet, als dass so manche Grundrechte - etwa das Recht auf Bildung
(Art. II-74), die Rechte älterer Bürger
(Art. II-85)
oder die Bestimmungen zum Familien- und Berufsleben
(Art. II-93) – im europäischen Rahmen in der Luft hängen, da entsprechende Zuständigkeiten
der Union hier eben nicht vorhanden, und alle Versuche, das abzuändern, gescheitert sind.
Dann werden in
Art. II-113 der Charta noch die Grundfreiheiten als Schranke gesetzt, denn
„keine Bestimmung dieser [Grundrechte-]
Charta ist als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen.
Und mit Grundfreiheiten sind die wirtschaftsliberalen Rechte des freien Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehrs gemeint.
(Art.I-4)
Die Behauptung: „Erstmals bekennt sich die EU mit dieser Verfassung zur sozialen Marktwirtschaft und verabschiedet sich damit von ihrer reinen
Marktfixierung,“ erscheint doch sehr an den Haaren herbeigezogen.
Nach oben Inhaltsverzeichnis
b) Wirtschaftspolitisch
Ich möchte mit der oben angesprochenen Bolkesteinrichtlinie beginnen, weil viele inzwischen registriert haben, dass in dem für jede Gesellschaft
wichtigen Dienstleistungsbereich vor allem mit dem dort formulierten „Herkunftslandprinzip“ zerstörerischer Sprengstoff gelegt wird.
Diese Richtlinie ist zeitlich vor dem Verfassungsvertrag ausgearbeitet worden auf den Grundlagen der bis heute gültigen europäischen Verträgen.
In diesen heißt es in Artikel 3 in Bezug auf die Tätigkeit der Gemeinschaft nur: „einen Binnenmarkt (zu schaffen), der durch die Beseitigung
der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist.“
Der vorliegende Verfassungsentwurf verzichtet nicht nur darauf, den Erhalt und Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Zielbestimmungen
der Union zu verankern. In
Art. I-3 zu den Zielen der Europäischen Union verschärft er vielmehr den Stellenwert des Wettbewerbs
mit der eindeutigen Formulierung:
„Die Union bietet ihren Bürgerinnen (…) einen Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb.“ (auch in
III-177, 178, 185).
Wenn der Ex-Kommissar Bolkestein zu der staatlichen Daseinsvorsorge und zum gesamten Dienstleistungssektor sagte:
„Die nationalen Vorschriften sind z.T. archaisch, übertrieben aufwendig, und sie verstoßen gegen das EU-Recht. Diese Vorschriften müssen
schlichtweg verschwinden,“ dann steht dieser Ausspruch und seine vorgelegte Dienstleistungsrichtlinie in völliger Übereinstimmung mit
dem vorgelegten Verfassungstext,
(III-144) mit seinem Nachfolger Charley McGreevy und den übrigen Kommissionsmitgliedern.
Nach oben Inhaltsverzeichnis
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Im Verfassungsvertrag bekennt sich die Union zu sozialer Gerechtigkeit, zum Ziel der Vollbeschäftigung, zu einem gerechten Handel und dem Ziel
der Beseitigung der Armut, zum Umweltschutz, zum Recht auf Bildung, zu weiteren Arbeitsschutzgesetzen und -rechten sowie Gleichberechtigung
(III-209 bis 218),zur Förderung der Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen
(III-256-(1)-c) und zur Bekämpfung und
Beseitigung der Armut als Hauptziel der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe
(III-314).
Doch auch hier wieder die Frage: Ist es wirklich nur böswillige Unterstellung, wenn man bei der Bewertung der Formulierung
„freier und
unverfälschter Wettbewerb“ das bisherige Reden und Handeln der EU-Kommission mit einbezieht und so zu der Schlussfolgerung gelangt,
„unverfälscht“ heißt auch und gerade: ohne jede soziale und ökologische Einschränkung und ohne jede Schutzmöglichkeit für
schwächere Wirtschaftskreisläufe?
Europa wird ausgerichtet auf einen „Wettlauf nach unten“ hinsichtlich sozialer und ökologischer Standards. Dazu als Indizien einige Artikel,
die in einer Verfassung eigentlich nichts zu suchen haben:
• Es werden weder Zoll noch mengenmäßige Handelsbeschränkungen innerhalb Europas erlaubt
(III-151 und 153),
• Im Namen des Wettbewerbs sollen die Dienstleistungen so weit wie möglich liberalisiert werden
(III-148),
• Kapitalverkehrsbeschränkungen werden verboten, nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten der EU, sondern auch gegenüber Drittländern,
(III-156),
• Internationale Handelshemmnisse
(III-292-(2)-e), genau so wie
• Beschränkungen bei ausländischen Direktinvestitionen
(III-314) sollen schrittweise abgebaut werden,
• ein Recht auf „unternehmerische Freiheit“ wird
(II-76 (6) ) erstmals (in die Grundrechtscharta) aufgenommen.
Bei so viel Regelungswut in einer Verfassung ist vielleicht auch die Frage erlaubt, warum fehlen dann Bestimmungen:
• zur längst überfälligen Angleichung direkter und indirekter Steuern. (fehlt in
III-171),
• zur Nachhaltigkeit (und damit Zukunftsfähigkeit) des Wirtschaftens. So ist z.B. auch beim Tourismus ausschließlich von der Wettbewerbsfähigkeit
die Rede
(III-281), soziale und ökologische Gesichtspunkte fallen unter den Tisch.
• zur ökologischen Landwirtschaft, man beschränkt sich auf „die Förderung des technischen Fortschritts“ und die „Rationalisierung der
landwirtschaftlichen Erzeugung“
(III-227).
• zur Orientierung auf eine notwendige Wende bei der Energieerzeugung. In
(III-256,1) steht zwar:
„Die Energiepolitik der Union hat ... unter
Berücksichtigung der Erfordernisse der Erhaltung und der Verbesserung der Umwelt folgende Ziele: ... c) Förderung der Energieeffizienz und von
Energieeinsparungen sowie Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen.“
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Aber auch hier der Vorbehalt:
„im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts.“ Dagegen bleibt die falsche Privilegierung
der Atomenergie erhalten, indem der 50 Jahre alte EURATOM-Vertrag im 36. Protokoll inhaltlich unverändert in die EU-Verfassung aufgenommen wurde.
Auch neu ist es, die Geldpolitik der Gemeinschaft verfassungsmäßig festzuschreiben, sie somit jeglicher Flexibilität zu berauben:
„... die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- sowie Wechselkurspolitik, die beide vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen
und unbeschadet dieses Zieles die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit
freiem Wettbewerb unterstützen sollen.“ (III-177)
Damit wird die EU vor allem auf das Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet. Die Förderung eines nachhaltigen Wachstums sowie von Beschäftigung
fallen weg. Der politisch bereits gescheiterte Stabilitätspakt mit seinen unsinnigen Haushaltsvorgaben wird in die Verfassung aufgenommen
(III-184),
obwohl schon seit Jahren gegen die Regeln verstoßen wird, und die Regierungschefs über eine grundlegende Reform dieses Paktes diskutieren.
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c) Friedenspolitisch bzw. Militärpolitisch
Mit die wichtigste Aufgabe einer Verfassung ist es, die eigene Friedfertigkeit nach innen und nach außen festzulegen und entsprechende Auslegungen
zu garantieren.
Im deutschen Grundgesetz wird ein Angriffskrieg klar verboten, eine Aufforderung dazu oder eine Beteiligung unter Strafe gestellt, die italienische
Verfassung bezeichnet den Krieg als ein offensives Instrument gegen die Freiheit der Völker und lehnt ihn als ein Mittel zur Lösung internationaler
Konflikte ab (Artikel 11).
Leider wird der Vertragstext solch einem Anspruch gar nicht gerecht und die oben zitierten Verfassungsbefürworter formulieren mit ihren Behauptungen
eher Wunschvorstellungen:
„Mit dieser Verfassung erhebt die EU die Förderung des Friedens zum obersten Gebot.
....Der Vorwurf, mit der Verfassung würden Angriffskriege legitimiert, ist ebenso absurd wie falsch: Die Verfassung verbietet jeden Angriffs- und
Präventivkrieg. Unhaltbar ist die Behauptung, die Verfassung legitimiere »Abrüstungskriege«.....
Die Behauptung, der im Grundgesetz festgeschriebene Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze würde in der EU-Verfassung abgeschafft, ist schlicht
eine Lüge. Wenn die Bundesregierung deutsche Truppen an einem Auslandseinsatz der Union beteiligen will, muss weiterhin der Bundestag zustimmen.“
Schön wäre es.
Hier die wichtigsten Artikel im Verfassungstext im Wortlaut:
•
(I-1,4) (Die Union)
...leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung
unter den Völkern ....
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Seite 15
•
(I-41) (1) Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ....sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte
Fähigkeit zu Operationen. Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der
internationalen Sicherheit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückgreifen. Sie erfüllt diese Aufgaben mit
Hilfe der Fähigkeiten, die von den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden.
(3) .... Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es wird eine Agentur für die
Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur) eingerichtet, deren Aufgabe
es ist, den operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen
und technologischen Basis des Verteidigungssektors beizutragen und diese Maßnahmen gegebenenfalls durchzuführen, sich an der Festlegung einer
europäischen Politik im Bereich der Fähigkeiten und der Rüstung zu beteiligen sowie den Rat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen
Fähigkeiten zu unterstützen.
(5) Der Rat kann zur Wahrung der Werte der Union und im Dienste ihrer Interessen eine Gruppe von Mitgliedstaaten mit der Durchführung
einer Mission im Rahmen der Union beauftragen. Die Durchführung einer solchen Mission fällt unter Artikel III-310.
(6) Die Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen
mit höchsten Anforderungen untereinander weiter gehende Verpflichtungen eingegangen sind, begründen eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im
Rahmen der Union. Diese Zusammenarbeit erfolgt nach Maßgabe von Artikel III-312. Sie berührt nicht die Bestimmungen des Artikels III-309.
(8) Das Europäische Parlament wird zu den wichtigsten Aspekten und den grundlegenden Weichenstellungen der Gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik regelmäßig gehört. Es wird über ihre Entwicklung auf dem Laufenden gehalten.
•
(III-309)(1) Die in Artikel I-41 Absatz 1 vorgesehenen Missionen, bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen
kann, umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung,
Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender
Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden,
unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.
•
(III-310)(1) Im Rahmen der nach Artikel III-309 erlassenen Europäischen Beschlüsse kann der Rat die Durchführung einer Mission einer Gruppe
von Mitgliedstaaten übertragen, die dies wünschen und über die für eine derartige Mission erforderlichen Fähigkeiten verfügen. Die betreffenden
Mitgliedstaaten vereinbaren in Absprache mit dem Außenminister der Union untereinander die Ausführung der Mission.
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Statt sich per Verfassungsgebot dafür einzusetzen, die Rolle der Vereinten Nationen in zwischenstaatlichen Konflikten zu stärken und sich in ihrem
Handeln der Charta der Vereinten Nationen und insbesondere dem Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen zu unterwerfen, findet sich eine
Formulierung - die man durchaus militärinterventionistisch interpretieren kann - der Verpflichtung auf die „Weiterentwicklung“ des Völkerrechts und
eine Verpflichtung lediglich auf die „Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen“, die die Möglichkeit für nicht UN-mandatierte Militärinterventionen
durch die EU offen lässt.
Auch fehlen klare Formulierungen, dass von den Territorien der EU-Staaten niemals wieder Krieg ausgehen darf. Die Ächtung von Angriffskriegen
(wie im Grundgesetz) sucht man ebenfalls vergebens und auch ein ausdrückliches Verbot weltweiter militärischer Interventionspolitik wird nicht
gefordert, im Gegenteil alles wird der Schaffung der strukturellen und konkreten Angriffsfähigkeit untergeordnet.
In Punkto Außen- und Militärpolitik ist es das offensichtliche Ziel des Verfassungsvertrags, die Europäische Union für die globale Kriegsführungsfähigkeit
fit zu machen. Der Vertrag soll die
„auf zivile und militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen“ (I-41,1) sichern.
Aufrüstung wird Verfassungsgebot:
„Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten regelmäßig zu verbessern“ (I-41,3).
Und: Eine
„Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur)“
soll dies überwachen und
„zweckdienliche Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors“ durchsetzen
(III-311).
(Bis Juni 2004 hieß diese Verteidigungsagentur im Text noch: „Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“.)
Gravierend ist auch, dass das EU-Parlament und der Europäische Gerichtshof explizit aus der Kontrolle der Außen- und Militärpolitik ausgeschlossen
sind
(I-40,8). Die Interventionsoptionen der EU werden massiv ausgeweitet. In
(III-309) wird neben harmlosen Aktivitäten erwähnt:
„Missionen ... umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen“, was nichts anderes als Abrüstungskriege gegen andere bedeutet; wie auch
„Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach
Konflikten“.
(Diese Begründungen benutzt auch Präsident Bush, um seine weltweiten Kriegsabenteuer und seine Interessenpolitik zu begründen.)
„Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer
bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet“. Damit wäre eine Legitimation zur Beteiligung am gegenwärtigen, völkerrechtswidrigen
Irakkrieg gegeben.
Im 23. Protokoll heißt es weiterhin, die an der „SSZ ( Ständige Strukturierte Zusammenarbeit)
„.. teilnehmenden Mitgliedstaaten verpflichten
sich ... gegebenenfalls ihre nationalen Beschlussfassungsverfahren zu überprüfen“. Damit ist gemeint, dass ein Verfassungsverbot von Angriffskriegen
oder ein Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen den zitierten hehren Zielen,
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etwa kriegsbereit in fünf Tagen zu sein
(23. Protok. Art.1,b), im Weg steht und daher
„überprüft“, sprich beseitigt werden muss. Da
die Bundesrepublik als dazu fähige Nation selbstverständlich an der SSZ teilnehmen will, zielt das nicht zuletzt auch auf das Grundgesetz,
das Bundeswehreinsätze nur zu Verteidigungszwecken kennt, und auf die bisherige Festlegung, wonach Auslandseinsätze im Bundestag beschlossen werden müssen.
Sinnvolle Institutionen, die auf Ebene der EU mithelfen könnten, ein friedliches Europa zu schaffen, sind Fehlanzeige: Weder lehnt dieser
Verfassungsvertrag den Besitz oder die Anwendung von (auch vom internationalen Gerichtshof in Den Haag) geächteten Atomwaffen ab oder fordert
deren Abbau, noch wird eine notwendige europäische Agentur für Abrüstung und Konversion oder ein Amt für Rüstungsexport-Verbotskontrolle eingerichtet.
Lediglich ein
„europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe“ soll für Jugendliche geschaffen werden.
(III-321,5)
Welche Bewandtnis es mit der neuen EU-Militärpolitik hat, die im Verfassungsvertrag festgeschrieben werden soll, wird auch deutlich durch die im
Dezember 2003 von den Staats- und Regierungschefs verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) mit dem vielversprechenden Titel „Ein sicheres
Europa in einer besseren Welt“ oder noch deutlicher im „European Defence Paper“ (voller Titel: Europäische Verteidigung: Ein Vorschlag für ein
Weißbuch; veröffentlicht vom Institute for Security Studies, einem EU-eigenen Think Tank).
Dort heißt es unverhohlen: Europa solle zu militärischer Intervention greifen, wenn seine Belieferung mit Rohstoffen, wie Öl, aufgrund externer
Konflikte bedroht sei.
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d) Über die Stärkung des EU-Parlaments
Das Europäische Parlament (EP) wird direkt von den EU-Bürgern gewählt und ist damit das am besten demokratisch legitimierte Organ der EU. Auch wenn
es durch die EU-Verfassung gestärkt wird, ist und bleibt es kein echtes Parlament. Dafür fehlen ihm auch weiterhin wesentliche Merkmale, denn es hat
mit wenigen Ausnahmen
(I-34,2 I-330,1) kein Initiativrecht. Die Europäische Kommission besitzt das Monopol auf Initiativen für Europäische Gesetze
und Rahmengesetze
(I-26,2). Und das EP hat z.B. bei der Wahl der Kommission nur eine Blockademöglichkeit, aber keine Möglichkeit, selbst
Kandidaten vorzuschlagen und zu wählen.
Im Bereich der Gesetzgebung bringt der Verfassungsentwurf Fortschritte zugunsten des Parlaments. Das genaue Prozedere des „ordentlichen
Gesetzgebungsverfahrens“ wird in
Art. III 396 geregelt.
Der Kommissionsvorschlag soll EP und Rat gleichzeitig zugeleitet werden, stimmt der Rat oder das Parlament nicht zu, gibt es einen Vermittlungsausschuss,
dessen Ergebnis vom Rat mit qualifizierter Mehrheit, vom Parlament mit einfacher Mehrheit gebilligt werden muss.
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Hier die wenigen Bereiche, bei denen die Zustimmung des EP eingeholt werden muss:
• bei der Ausweitung von Befugnissen der EU
(I-18), (III-129)
• Haushaltsbefugnis, Wahl des Präsidenten und Zusammensetzung der Kommission
(I-20).
• Diskriminierung
(III-124)
• Einsatz einer Staatsanwaltschaft
(III-274)
• In der Außenpolitik nur bei Assoziierungsabkommen, Beitritt zu Menschen- und Grundrechten, Zusammenarbeit und Entscheidungen mit
großen finanziellen Folgen
(III-325)
• die eigenen Wahlen
(III-330)
• das EP wählt den Bürgerbeauftragten
(III-335)
• das EP wählt ein Mitglied des Richterausschuss
(III-357)
• die Einleitung einer verstärkten Zusammenarbeit
(III-419)
Ansonsten wird das Europa-Parlament nur unterrichtet, angehört oder auf dem Laufenden gehalten (z. B.
I-40,8; III-125, 126, 129, 173, 179, 234, 240,3)
In den Artikeln zum EP
(III-330-340) sind weitere Details aufgelistet, es bleibt aber dabei, die wichtigsten politischen Entscheidungen - in der
Außen- und Militärpolitik, in der Wirtschafts- und Geldpolitik und sogar beim Haushaltsplan
(III-404) - bleiben dem Parlament entzogen.
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e) Demokratische Strukturen und über die Stärkung der Bürgerbeteiligung.
Der Verfassungsentwurf sieht als einziges Zugeständnis an den Bürger zwar eine Volksinitiative vor, d.h. eine von mindestens einer Million Unionsbürgern
unterschriebenen Aufforderung an die EU-Kommission, einen Rechtsakt zu erlassen
(I-47,4). Diese Initiative führt aber lediglich zu einer Befassung
der Kommission mit dem Initiativantrag und hat keinen Anspruch auf Respektierung. Darüber hinaus gibt es in der EU keine direktdemokratischen
Beteiligungsformen wie z.B. europaweite Volksentscheide oder (obligatorische und fakultative) Referenden.
Noch nie wurden die Bürger in Deutschland bei einer Vertragsreform gefragt. Ob es um den Europäischen Binnenmarkt, den Maastricht-Vertrag oder den Euro
ging - nie wurde es als notwendig erachtet, diese fundamentalen Weichenstellungen im Wege eines Referendums zu entscheiden. Und so soll es laut
Verfassungsvertrag auch bleiben. Wer also von einer Stärkung der Bürgerbeteiligung redet, der lügt nur sich selbst und anderen in die Tasche.
Zur demokratischen Struktur stellt sich die Frage, wie sind die Kompetenzen innerhalb der EU geregelt? Denn die Zuweisung von Kompetenzen und die
Art ihrer Ausübung ist eine der wichtigsten Machtfragen.
Die Europäische Union hat im Verlaufe ihrer Geschichte nach und nach ihren Zuständigkeitsbereich auf immer mehr Politikbereiche ausgedehnt.
Mittlerweile werden deutlich mehr als die Hälfte aller neuen Gesetze nicht mehr in den nationalen Parlamenten erlassen, sondern in den Brüsseler
Institutionen.
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Der Entwurf der Europäischen Verfassung schreibt diesen Prozess fest und verlagert weitere Kompetenzen auf die EU. Außerdem werden durch zahlreiche
dynamische Klauseln bereits die nächsten Ausweitungen des EU-Machtbereiches de facto festgelegt. Eine Zurückverweisung einzelner Politikbereiche
an die Mitgliedsstaaten wurde dagegen zu keinem Zeitpunkt ernsthaft vom Konvent oder der Regierungskonferenz in Erwägung gezogen.
Diese Entwicklung kann man ja als Stärkung Europas durchaus positiv sehen, fragwürdig ist aber vor allem ihre fehlende demokratische Grundlage.
Ein zentrales Grundprinzip der EU ist der „Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung“
(I-11,2). Er besagt, dass die Union nur für diejenigen
Bereiche zuständig ist, für die ihr die Mitgliedstaaten Aufgaben ausdrücklich zugewiesen haben. Nach dem Verfassungsentwurf kann die EU aber auf so
gut wie allen Politikbereichen in sehr unterschiedlicher Art und Weise gesetzgeberisch tätig werden bzw. Maßnahmen ergreifen.
Die Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten werden in drei Gruppen eingeteilt:
• Ausschließliche Zuständigkeit der Union:
(I-12,1)
In diesen Politikbereichen darf nur die EU gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen. In
(I-13) sind die betroffenen
Bereiche aufgelistet: Währung, Zoll, biologische Meeresschätze, Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkt erforderlichen Wettbewerbsregeln,
Außenhandel.
• Geteilte Zuständigkeit. In
(I-12,2) wird erläutert:
Überträgt die Verfassung der Union für einen bestimmten Bereich eine mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit, so können die Union und
die Mitgliedstaaten in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit
wahr, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat oder entschieden hat, diese nicht mehr auszuüben.
Bei geteilter Zuständigkeit handelt es sich also um Bereiche mit Vorgriffsrecht der EU vor den Mitgliedstaaten.
In
(I-14) sind die Bereiche mit „geteilter“ Zuständigkeit aufgelistet:
Binnenmarkt, Innen- und Rechtspolitik, Landwirtschaft und Fischerei, Verkehr und transeuropäische Netze, Energie, Sozialpolitik, Umwelt,
Verbraucherschutz, gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich des Gesundheitswesens, wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt.
Nur in den Bereichen Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe werden die Zuständigkeiten
von EU und Mitgliedstaaten tatsächlich „geteilt“, also parallel ausgeübt
(I-14,3,4).
• Koordinierungs- und Ergänzungskompetenzen der Union
(I-12,5):
In bestimmten Bereichen ist die Union nach Maßgabe der Verfassung dafür zuständig, Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der
Maßnahmen der Mitgliedstaaten durchzuführen, ohne dass dadurch die Zuständigkeit der Union für diese Bereiche an die Stelle der Zuständigkeit der
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Mitgliedstaaten tritt. Es handelt sich hier vorwiegend um finanzielle Unterstützungen. Das Unionshandeln führt daher auch nicht zu Harmonisierung.
In
(I-17) sind die für diese Art von Zuständigkeit vorgesehenen Bereiche aufgelistet:
Industrie, Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, Kultur, Katastrophenschutz,
Tourismus, Verwaltungszusammenarbeit.
Doch auch diese Zuständigkeiten sind nicht unbedingt so wie beschrieben zu handhaben. Laut der Flexibilitätsklausel der EU-Verfassung
(I-18)
kann die EU unter Umgehung dieses Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung Maßnahmen ergreifen, wenn der Ministerrat dies einstimmig beschließt
und das Europäische Parlament zustimmt.
Im Nizza-Vertrag gibt es eine ähnliche Klausel (Art. 308 EGV), deren Anwendbarkeit aber auf den Binnenmarkt beschränkt ist.
Diese Binnenmarktgeneralklausel war in der Vergangenheit eine der am häufigsten genutzten Rechtsgrundlagen der EU. Sogar eine Verordnung zur
Terrorismusbekämpfung wurde trotz fehlender Kompetenzgrundlage über dieses Instrument erlassen. Entsprechend soll nun laut Verfassungsvertrag der
Anwendungsbereich der Flexibilitätsklausel auf sämtliche im Teil III der Verfassung angeführten Politikbereiche ausgedehnt werden. Mit der neuen
Flexibilitätsklausel wird also ein Instrument zur Verfügung gestellt, das im Dienste einer weiteren Zentralisierung ohne mitgliedstaatliche
Legitimierung steht.
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt im Zusammenhang mit Kompetenzzuweisung und demokratischer Kontrolle bietet die nicht ausreichende Subsidiaritätskontrolle.
(I-11,3) Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig,
sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene
ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.
Die Organe der Union wenden das Subsidiaritätsprinzip nach dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der
Verhältnismäßigkeit an. Die nationalen Parlamente achten auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips nach dem in jenem Protokoll vorgesehenen Verfahren.
Doch eine wirksame vorbeugende Subsidiaritätskontrolle gibt es ausgerechnet nicht für die Organe, die am Dringendsten darauf angewiesen
wären – die nationalen Parlamente.
Diese haben nach dem Verfassungsentwurf (
2.Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) lediglich
ein Beschwerderecht und auch dies nur, wenn 1/3 aller nationalen Parlamente innerhalb von sechs Wochen eine entsprechende Stellungnahme abgeben.
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Innerhalb dieser kurzen Frist ist es für die nationalen Parlamente kaum möglich, neben der Kontrolle ihrer nationalen Regierung und der nationalen Gesetzgebung
auch noch die zahlreichen Rechtsaktsentwürfe der EU auf die Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip zu kontrollieren.
Und selbst wenn es 1/3 der nationalen Parlamente gelingen sollte, innerhalb der Frist eine Verletzung dieses Prinzips darzulegen, so führt dies nur zu
einer erneuten „Überprüfung“ des Entwurfes des Rechtsaktes durch die Europäische Kommission. Denn im
Art. 7 heißt es:
„Nach Abschluss der
Überprüfung kann die Kommission … beschließen, an dem Entwurf festzuhalten, ihn zu ändern oder in zurückzuziehen. Dieser Beschluss muss begründet werden.“
In diesem Zusammenhang muss sogar die grundsätzlich als positiv zu begrüßende Einführung und zunehmende Ausweitung von Entscheidungen im Ministerrat mit
qualifizierter Mehrheit ( 55% / 65% ) kritisiert werden.
Diese qualifizierte Mehrheit ist eigentlich positiv, da sie Blockaden eines einzigen Staates unmöglich und damit die Union handlungsfähiger macht.
Angesichts der fehlenden demokratischen Legitimisierung und der beschriebenen Defizite mit der Kompetenzverteilung verstärkt aber die Tendenz zu immer
mehr Mehrheitsentscheidungen die Machtfülle der EU-Bürokratie und damit den undemokratischen Zentralismus.
Aus demokratischer Betrachtungsweise ist weiter zu beklagen, dass der europäische Integrationsprozess von den politischen Eliten an den Bürgern vorbei
durchgeführt wurde. Und die vorgeschlagene EU-Verfassung würde diese Entwicklung fortführen, weil sie wirksame Automatismen zur weiteren Ermächtigung
der EU enthält. Von einer Festsetzung und Ausbalancierung der Zuständigkeiten von EU und den Mitgliedstaaten, wie dies von einer „echten“ Verfassung
zu erwarten wäre, kann leider keine Rede sein.
Ein letzter Kritikpunkt:
Seit langem ist das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative elementarer Bestandteil jeder (repräsentativen) Demokratie.
Durch die Gewaltenteilung soll politischer Machtmissbrauch minimiert werden.
Das Prinzip der Gewaltenteilung wird auf EU-Ebene in Bezug auf die Trennung von Exekutive und Legislative durchbrochen. Nationale Minister, die auf
nationaler Ebene Gesetze ausführen oder initiieren, haben auf europäischer Ebene die Kompetenz, Gesetze zu verabschieden
(I-23,1). Und die
Europäische Kommission, die innerhalb der EU der Exekutive am nächsten kommt, hat das Initiativrecht, also das Recht, Rechtsakte vorzuschlagen. Das
eigentliche Legislativorgan, das Parlament, hat dieses Recht auch im Verfassungsvertrag nicht.
Diese Exekutivlastigkeit hat die Konsequenz, dass die Anstöße für Politik im Vergleich zu nationalstaatlichen Demokratien weniger von gewählten Amtsträgern
ausgehen, sondern stärker von den eingesetzten Amtsträgern auf Zeit (der Kommission) und deren Beamten. Die Wahlen zum Europaparlament werden dadurch
entwertet, weil tatsächlich die Kommission die dominierende Institution im europäischen Gesetzgebungsverfahren ist.
Seite 22
Die Dominanz der Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament wird auch im Vergleich der Mitarbeiterzahlen offenbar. Von den rund 39.000 Menschen,
die bei der EU als Beamte oder Zeitbedienstete beschäftigt sind, arbeiten über 26.000 für die Kommission, während für das Parlament lediglich ca. 5.500
und für den Ministerrat nur 3.280 Personen arbeiten. Die restlichen 3.500 verteilen sich auf die zahlreichen unterschiedlichen EU-Agenturen.
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5. Fazit
Der Grundfehler dieses Verfassungsvertrags und die Ursache für eine Ablehnung und letztendlich für sein wahrscheinliches Scheitern liegt in seiner
Entstehungsgeschichte. Nach dem 2. Weltkrieg haben sich Kaufleute und ihre politischen Interessenvertreter zusammen getan und Verträge ausgearbeitet
und unterschrieben, um bestehende Handelsbarrieren, Zölle u.ä. abzubauen, um Handel und wirtschaftliche Entwicklung zu erleichtern.
Ähnlich wie unter Konzernchefs wurden hier von den nationalen Regierungen verbindliche Verträge vereinbart und über die Montanunion, die
europäische Wirtschaftsgemeinschaft bis zur heutigen Europäischen Union ein gemeinschaftliches Europa entwickelt, dass sich vor allem als ein
einheitlicher Wirtschaftsraum definierte.
Natürlich waren die Regierungschefs als gewählte Volksvertreter auch von ihren Bürgern und Wählern abhängig, und so wurden auch schon immer die
schönsten Be- und Umschreibungen für ein gemeinsames Europa formuliert. Und es haben sich tatsächlich auch viele Vorteile für die Bürger der Union
eingestellt, wie Reise- und Arbeitsfreiheit, ein besseres Kennenlernen, ein Europaparlament, den gemeinsamen Euro usw.
Aber das waren Nebenerscheinungen, die fast ohne Beteiligung oder Befragung der Bürger über sie kamen und die eigentlich nur andeuteten, was ein
gemeinsames Europa alles möglich machen könnte.
Und im gleichen Stil sollte nun ein Vertrag in Kraft gesetzt werden, der den Namen Verfassung erhalten, der über den existierenden Verfassungen
der einzelnen Nationalstaaten angesiedelt werden und damit große Teile von ihnen außer Kraft setzen sollte.
Es handelt sich aber nicht um eine Verfassung, die sich die Bürger und ihre Repräsentanten nach entsprechenden Beratungen und Diskussionen geben
wollten, sondern lediglich um einen Vertrag zwischen Regierungen, den deren Vertreter ausgehandelt haben und der dann von seinen Initiatoren die
Bezeichnung und die Bedeutung „Verfassung“ zugeteilt bekam. So entstand nur eine Pseudoverfassung mit einem fürchterlich technokratischen und
ausufernden Regelwerk.
Muss man wirklich
• mit 65 Artikeln über 14 Seiten die genaue Zusammensetzung und Arbeitsweise des europäischen Gerichtshofs in die Verfassung hineinschreiben
(3.Protokoll)
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Seite 23
• die Grundrechte-Charta des zweiten Teils unbedingt noch erläutern und dann z.B. das generelle Todesstrafenverbot
(II-62,2) wieder einschränken,
indem man den finalen Todesschuss der Polizei oder das Töten oder die Todesstrafe bei Aufstand und Krieg ausdrücklich als erlaubt darstellt (12. Erklärung)
• verfassungsmäßig festschreiben, dass Unionsbeamte zollfrei umziehen dürfen
( 7.Protokoll, 11d)
• erwähnen, dass der Binnenmarkt auch den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen einschließt und also auch Därme, Blasen und Mägen von anderen
Tieren als Fischen, ganz oder geteilt dazugehören
(1.Anhang)
Hier waren sich die Auftraggeber dieses Verfassungsvertrages ganz offensichtlich nicht im Klaren über die Bedeutung einer Verfassung und folgerichtig
ist ihnen der inhaltliche Teil auch daneben geraten.
Es ist neben der undemokratischen Entstehungsgeschichte dieses Vertrages ganz entschieden zu kritisieren, dass
• demokratische und parlamentarische Mitgestaltungsmöglichkeiten nur rudimentär vorhanden sind,
• die parlamentarischen Rechte der nationalen Parlamente und das Subsidiaritätsprinzip immer weiter ausgehebelt werden und faktisch die Legislative und
die Exekutive der europäischen Union in die Hände der damit übermächtigen Kommission zusammen gelegt werden,
• den Mitgliedsländern jeder wirtschaftspolitische Freiraum genommen wird, indem die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Union auf Geldwertstabilität
und freien Handel und unverfälschten Wettbewerb verpflichtet und somit die heutige neoliberale Politik mit ihrer Privatisierung und ihrem Abbau
jeglicher sozialen, gesundheitlichen und umweltpolitischen Schranken als alternativlos festgeschrieben wird,
• die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weg von einer rein defensiven Struktur jetzt zu militärischer Aufrüstung und Stärke verpflichtet
und damit die Union quasi die gleiche zerstörische und für die Welt gefährliche Politik anstrebt, die die USA zur Zeit praktizieren.
Es darf doch nicht sein, dass alle, die sich für den Erhalt von sozialen Standards einsetzen, für Mindestlöhne, für Umweltauflagen und Ähnliches und
damit gegen einen freien Wettbewerb sind, oder wer sich für Abrüstung engagiert oder wenn Attac sich für eine Besteuerung von Finanztransaktionen einsetzt,
dass all diese Personen nach Inkrafttreten dieser Verfassung plötzlich zu Verfassungsfeinden werden.
Traurig stimmt, dass aus dem vorgelegten Vertragstext eine ganz falsche Zukunftssicht und Wertigkeit heraus zu lesen ist. Dieser Entwurf ist deshalb
abzulehnen, weil er für die Zukunft Europas und der Welt die Weichen völlig falsch stellen soll.
Die Probleme, die wir alle in Zukunft lösen müssen, sind die zunehmende Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit, knappes Wasser und Nahrungsmittel und
deren Verteilung, die zunehmende Armut mit steigenden Flüchtlingsströmen, kriegerischen Auseinandersetzungen und auch Terrorismus.
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Um diese Probleme in den Griff zu bekommen, brauchen wir mehr Gerechtigkeit, garantierte Mindestlebensstandards, Entwicklungschancen für die armen Länder,
also Aufbau eigener Märkte dort und nicht forcierte Ausbeutung.
Wir brauchen die Ächtung aber auch den Abbau von Massenvernichtungswaffen, von Minen, und generell von Waffenbau und –Handel, wir brauchen die verschwendeten
Milliarden der militärischen Aufrüstung für den zivilen Aufbau, wir brauchen die ökologische Landwirtschaft und auch den Umweltschutz bei jeder anderen
industriellen Produktion.
Wir brauchen einen Wechsel zu den regenerativen Energien und dann eine Verteuerung und damit einen Erhalt der fossilen Brennstoffe, ein Ende des atomaren
Kreislaufes, wir brauchen ein Zusammenwachsen der verschiedensten Völker der Erde und damit eine Erleichterung des Austauschs.
Wir brauchen mehr globales Denken in Nachhaltigkeit.
Der vorliegende Verfassungsvertrag wird all diesen Anforderungen leider nicht gerecht. Es fehlt der Vorrang des Menschen, seiner sozialen Bedürfnisse vor
dem Gewinnstreben, es fehlt die Ächtung von Krieg und Gewalt, der Verzicht auf einen Einsatz oder mindestens auf Abbau von Atomwaffen, es fehlen die
demokratischen Teilnahmemöglichkeiten der Bürger und nicht zuletzt es fehlt ein positives Bekenntnis sich der weltweiten Flüchtlingsströme verantwortungsvoll
anzunehmen.
Auch wenn die Ablehnung der europäischen Bürger überwiegend zurückzuführen ist auf eine mangelnde demokratische Beteiligung, auf Ängste vor dem
undurchsichtigen Bürokratenapparat in Brüssel und unbestimmte Ängste vor noch mehr Fremden und einer weiteren Erweiterung, und weniger auf ein fundiertes
Wissen über den vorliegenden Verfassungsvertrag, so hat zum Glück zu diesem Thema inzwischen doch eine solche Politisierung stattgefunden, dass sich die
Menschen in Europa eine derartige Verfassung wohl nicht mehr so einfach aufzwingen lassen.
Damit der Weg frei wird, sich intensiv, gemeinschaftlich und demokratisch um eine richtige Verfassung für Europa zu engagieren, gilt es, diese Chance
auch zu nutzen.
Ein persönlicher Gedanke vielleicht noch zum Schluss: Ich habe versucht herauszuarbeiten, dass die neoliberale Fixierung des europäischen Projektes und
auch des Verfassungsvertrags auf den freien und unverfälschten Wettbewerb ein Hauptübel und zu bekämpfen ist.
Ich möchte aber ergänzen, dass ich eigentlich gar nichts gegen solch einen Wettbewerb habe, wenn man denn nur die natürliche und sinnvolle Reihenfolge
einhalten würde.
Denn wenn erst einmal die Staaten zu einer Zusammenarbeit in und zur Angleichung ihrer Steuer- und Sozialpolitik kommen und wenn dann gleiche oder
ähnliche Verhältnisse im Steuer- und Sozialbereich geschaffen sind, dann braucht man den freien und unverfälschten Handel und Wettbewerb gar nicht
mehr einzufordern, denn wir haben ihn dann ganz automatisch.
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6. Anhang, Eine Kurzdarstellung des Verfassungsvertrags.
Der Vertrag besteht aus 448 Artikel, die in vier Teile zusammen gefasst sind, aus 36 ergänzenden Protokollen und 50 Erklärungen, insgesamt ein Werk von
474 Seiten.
In der
Präambel steht die Erklärung der Staatsoberhäupter und Regierungen der 25 EU-Länder und wer sie alles unterschrieben hat.
TEIL I umfasst 60 Artikel untergliedert in Titel I – IX.
In
Titel I, DEFINITION UND ZIELE DER UNION
(Art.1-8), werden u.a. die Werte
(Art.2), die Ziele
(Art.3), die
Grundfreiheiten
(Art.4), das Unionsrecht
(Art.6) und die Symbole der Union
(Art.8) erläutert.
In
Titel II, GRUNDRECHTE UND UNIONSBÜRGERSCHAFT“
(Art.9-10), stehen dieselben.
In
Titel III, DIE ZUSTÄNDIGKEITEN DER UNION
(Art.11-18), finden sich u.a. die Grundsätze
(Art.11), Zuständigkeiten
(Art.12-14)
und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
(Art.16).
In
Titel IV, DIE ORGANE UND EINRICHTUNGEN DER UNION
(Art.19-32)
sind erläutert:
die Organe der Union (19)
das Europäische Parlament (20) (aber auch Teil III, 330-340)
der Europäische Rat (21) (aber auch Teil III, 341)
der Präsident des Europäischen Rates (22)
der Ministerrat (23) (aber auch Teil III, 342-346)
die Zusammensetzung des Ministerrates (24)
die Definition der qualifizierten Mehrheit im Europäischen Rat (25)
die Europäische Kommission (26) (aber auch Teil III, 347-352)
der Präsident der Europäischen Kommission (27)
der Außenminister der Union (28)
der Gerichtshof der Europäischen Union (29) (aber auch Teil III, 353-381 und 3. Protokoll)
die Europäische Zentralbank (30) (aber auch Teil III, 382, 383 und
4. Protokoll)
der Rechnungshof (31) (aber auch Teil III, 384, 385)
und die beratenden Einrichtungen der Union (32) (aber auch III, 386-392)
In
Titel V, AUSÜBUNG DER ZUSTÄNDIGKEITEN DER UNION
(Art.33-44) stehen u.a. besondere Bestimmungen über die gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik
(Art.40), besondere Bestimmungen über die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik
(Art.41) und verstärkte
Zusammenarbeit
(Art.44).
In
Titel VI, DAS DEMOKRATISCHE LEBEN DER UNION
(Artikel 45-52) stehen z.B. Grundsätze der Demokratie
(Art.45-47), der Europäische
Bürgerbeauftragte
(Art.49) und Status der Kirchen
(Art.52).
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Titel VII behandelt DIE FINANZEN DER UNION
(Artikel 53-56),
Titel VIII entsprechend DIE UNION UND IHRE NACHBARN
(Artikel 57).
Titel IX, ZUGEHÖRIGKEIT ZUR UNION
(Artikel 58-60), behandelt
(Art.58) Kriterien und Verfahren für den Beitritt zur Union,
(Art.59) Aussetzung und
(Art.60) freiwilliger Austritt aus der Union.
TEIL II, DIE CHARTA DER GRUNDRECHTE DER UNION, umfasst
54 Artikel untergliedert in Titel I – VII.
In
Titel I, WÜRDE DES MENSCHEN
(Artikel 61-65), steht z.B.:
(Art. 62,2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden,
oder im Recht auf Unversehrtheit
(Art.63) das Verbot,
(c) den menschlichen Körper und Teile davon als solche zur Erzielung von Gewinnen zu nutzen, und
(d) das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen.
In
Titel II, FREIHEITEN
(Artikel 66-79), stehen u. a.:
(Art.68) Schutz personenbezogener Daten,
(Art.72)Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit,
(Art.74) Recht auf Bildung,
(Art.75) Berufsfreiheit und das Recht zu arbeiten,
(Art.78) Asylrecht und
(Art.79) Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung.
Titel III, GLEICHHEIT
(Artikel 80-86), behandelt
(Art.83) Gleichheit von Frauen und Männern,
(Art.84) Rechte des Kindes und
(Art.86) Integration von Menschen mit Behinderung.
Titel IV, SOLIDARITÄT
(Artikel 87-98), enthält z.B.
(Art.88) das Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen,
(Art.92) Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz,
(Art.94) Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung,
(Art.97) Umweltschutz,
(Art.98) Verbraucherschutz
Titel V, BÜRGERRECHTE
(Artikel 99-106) enthält u. a.:
(Art.101) das Recht auf eine gute Verwaltung und
(Art.102) das Recht auf Zugang zu Dokumenten.
Titel VI, JUSTIZIELLE RECHTE
(Artikel 107-110).
Titel VII, ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN ÜBER DIE AUSLEGUNG UND
ANWENDUNG DER CHARTA
(Artikel 111-114)
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TEIL III, DIE POLITIKBEREICHE UND DIE ARBEITSWEISE DER UNION
umfasst 321 Artikel untergliedert in Titel I - IIV
Titel I, ALLGEMEINE ANWENDBARE BESTIMMUNGEN
(Artikel 115-122)
Titel II, NICHTDISKRIMINIERUNG UND UNIONSBÜRGERSCHAFT
(Artikel 123-129)
Titel III, INTERNE POLITIKBEREICHE UND MASSNAHMEN
(Artikel 130–285), unterteilt in 5 Kapitel mit weiteren Unterabschnitten.
Im
Kapitel Binnenmarkt wird behandelt
(Art.133-150) Freizügigkeit und freier Dienstleistungsverkehr,
(133-136) darunter von Arbeitnehmern,
(137-143) die Niederlassungsfreiheit,
(144-150) Freier Dienstleistungsverkehr,
(151-155) Freier Warenverkehr,
(161-169)Wettbewerbsregeln und
(172-176) Gemeinsame Bestimmungen.
Im
Kapitel Wirtschafts- und Währungspolitik findet man
(Art.179) Überwachung und
(184) Defizitkontrolle.
Im
Kapitel Die Politik in anderen Bereichen stehen Artikel über:
(Art. 203-208) Beschäftigung,
(209-219) Sozialpolitik
(225-232) Landwirtschaft und Fischerei,
(233,234) Umwelt,
(235) Verbraucherschutz,
Verkehr
(236-246) und
(256) Energie.
Im
Kapitel Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts finden sich
(Art. 257) Grundsätze,
(265-268) Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung und
(275-278) Polizei.
Im
Kapitel Bereiche, in denen die Union beschließen kann, eine Unterstützungs-, Koordinierungs- oder Ergänzungsmassnahme durchzuführen sind erwähnt
(Art. 278) Gesundheit
(279) Industrie,
(280) Kultur,
(281) Tourismus,
(282, 283) Bildung und Sport und
(284) Katastrophenschutz.
Titel IV, DIE ASSOZIIERUNG DER ÜBERSEEISCHEN LÄNDER UND
HOHEITSGEBIETE
(Artikel 286-291)
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Titel V, AUSWÄRTIGES HANDELN DER UNION
(Artikel 292-329) unterteilt in 8 Kapitel mit weiteren Unterabschnitten.
In
Kapitel I stehen die ALLGEMEINEN BESTIMMUNGEN
(Art. 292,293).
In
Kapitel II, GEMEINSAME AUSSEN- UND SICHERHEITSPOLITIK stehen
(Art. 294-308) Gemeinsame Bestimmungen,
(309-312)Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik und
(313) Finanzen.
Kapitel III, GEMEINSAME HANDELSPOLITIK
(Art. 314, 315)
Kapitel IV, ZUSAMMENARBEIT MIT DRITTLÄNDERN
(Art. 316-318) Entwicklungszusammenarbeit und
(321) Humanitäre Hilfe.
Kapitel V, RESTRIKTIVE MASSNAHMEN
(Art. 322)
Kapitel VI, INTERNATIONALE ÜBEREINKÜNFTE
(Art. 323-326)
Kapitel VII, BEZIEHUNGEN DER UNION
(Art. 327, 328)
Kapitel VIII, SOLIDARITÄTSKLAUSEL
(Art. 329)
Titel VI, ARBEITSWEISE DER UNION
(Art. 330-423) unterteilt in 3 Kapitel mit weiteren Unterabschnitten.
Kapitel I INSTITUTIONELLE BESTIMMUNGEN
(Art. 330-340) Das europäische Parlament,
(341) Der Europäische Rat,
(342-346) Der Ministerrat,
(347-352) Die Europäische Kommission,
(353-381) Der Europäische Gerichtshof,
(382,383) Die Zentralbank
(384,385) Der Rechnungshof,
(386-392) Die verschiedenen Ausschüsse,
(393,394) Die Investitionsbank und
(395-401) Gemeinsame Bestimmungen (wie läuft was).
Kapitel II FINANZVORSCHRIFTEN
(Art. 402-415)
Kapitel III VERSTÄRKTE ZUSAMMENARBEIT (untereinander)
(Art. 416-423)
Titel VII, GEMEINSAME BESTIMMUNGEN“
(Art. 424-436)
TEIL IV, ALLGEMEINE UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN,
umfasst die letzten 12 Artikel und die Unterschriften, u.a.:
(Art.437) Aufhebung der früheren Verträge,
(Art.440) Räumlicher Geltungsbereich,
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(Art.443) Ordentliches Änderungsverfahren und
(Art.444) Vereinfachtes Änderungsverfahren.
A. PROTOKOLLE
1. PROTOKOLL: ÜBER DIE ROLLE DER NATIONALEN PARLAMENTE IN DER EUROPÄISCHEN UNION.
2.PROTOKOLL: ÜBER DIE ANWENDUNG DER GRUNDSÄTZE DER SUBSIDIARITÄT UND DER VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT.
3. PROTOKOLL: ZUR FESTLEGUNG DER SATZUNG DES GERICHTSHOFS DER EUROPÄISCHEN UNION.
4. PROTOKOLL: ZUR FESTLEGUNG DER SATZUNG DES EUROPÄISCHEN SYSTEMS DER ZENTRALBANKEN UND DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK.
10. PROTOKOLL: ÜBER DAS VERFAHREN BEI EINEM ÜBERMÄSSIGEN DEFIZIT.
13.-20. PROTOKOLL: AUSNAHMEN VON GROSSBRITANIEN, DÄNEMARK.
36. PROTOKOLL: ZUR ÄNDERUNG DES VERTRAGS ZUR GRÜNDUNG DER
EUROPÄISCHEN ATOMGEMEINSCHAFT
B. ANHÄNGE
ANHANG I: LISTE ZU ARTIKEL III-226 DER VERFASSUNG.
ANHANG II: ÜBERSEEISCHE LÄNDER UND HOHEITSGEBIETE AUF WELCHE TEIL III, TITEL IV DER VERFASSUNG ANWENDUNG FINDET
C. SCHLUSSAKTE
D. ERKLÄRUNGEN
12. Erklärung betrifft die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte.
(„Diese Erläuterungen haben als solche keinen rechtlichen Status, stellen jedoch eine nützliche Interpretationshilfe dar, die dazu dient, die
Bestimmungen der Charta zu verdeutlichen.“)
30. Erklärung zur Ratifikation des Vertrags über eine Verfassung für Europa.
44. Erklärung der Bundesrepublik Deutschland, Irlands, der Republik
Ungarn, der Republik Österreich und des Königreichs Schweden (EAG).
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Seite 30
absichtlich leere Seite
Seite 31
Eigene Anmerkungen
absichtlich leere Seite
Seite 31, letzte Umschlagseite
Was steht im Verfassungsvertrag ?
Warum lehnen Einige ihn ab, und Andere befürworten ihn ?
Wie ist dieser Vertrag überhaupt entstanden ?
Was sagt er über die Kompetenzverteilung innerhalb Europas aus ?
Wer ist wofür zuständig ?
Wird das Europäische Parlament gestärkt ?
Gibt es auch eine Beteiligung für die Bürger ?
Ist dieser Verfassungsvertrag denn nach der Verabschiedung noch zu ändern ?
Ist das Grundgesetz dann noch gültig ?
Diese und weitere Fragen werden in dieser Ausarbeitung behandelt, Nachfragen, Korrekturen oder Ergänzungen sind erwünscht.
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5.6.2008